Die Piraten sind da – und sie gehen nicht wieder weg

Ich bin derzeit auf dem Bundesparteitag der Piratenpartei Deutschland. Als Mitglied der SG Website bin ich im Hintergrund damit beschäftigt, den Liveticker auf der Bundeswebsite zu betreuen und auch ansonsten technische Hilfestellung für die Website zu geben.

Somit bekomme ich natürlich auch eine Menge mit von der Stimmung etc. Zudem sitz ich direkt hinter der Sitzreihe die für die Presse vorgesehen ist. In einer Mail wurde ich gefragt, was von den gestrigen Artikeln in der SZ oder FAZ (diese verlinke ich hier aufgrund der LSR-Unterstützung der Verlage nicht) zu halten ist.

In einem Artikel wurde gar behauptet, die Halle wäre zu einem ganzen Drittel leer. Und überhaupt wäre in der Piratenpartei eine Exodus- oder Auflösungsstimmung. Eine Rede eines Kandidaten, der von verschiedenen Geschenissen persönlich frustriert war, wurde auch als Beispiel hervorgehoben. Die Rede. Nicht die Reaktionen im Publikum darauf, die diese mit den „weissen Stimmzetteln“ deutlich quotierten.zeig-respekt

Einige der Artikel in verschiedenen Medien sind überaus tendenziös. Sie geben garnicht wieder wie hier die wirkliche Stimmung ist. Und das hier so viele freie Plätze sind, ist auch nicht wahr. Ich hatte schon überlegt dies zum Gegenbeweis zu fotografieren, aber das bringst dann auch wieder nicht… Ja, es existieren leere Tischreihen ganz hinten. Aber als Informatiker, der in den Genuß von ausreichender Mathematikausbildung kam, würde ich nicht von 1/3 reden. Sondern von 1/6.

(Update: Ich hab mir jetzt mal den Spaß gemacht und hab nachgezählt. Von 54 Tischreihen sind 9 leer. Und das sind tatsächlich ziemlich genau 1/6. Tjaja. Wir sind für bessere Bildung. Bruchrechnen zum Beispiel. Das wäre auch für spätere Journalisten wertvoll.)

Update zum Update: Ich würde darauf hingewiesen das die absolute Zahl der akkreditierten Piraten (1085) tatsächlich doch eher 67% der in der Halle vorhandenen Bestuhlung (1600) ausmachte. Danke für die Klarstellung! Ich kann wie gesagt nur meine subjektive Sicht geben. Vielleicht geht dieser Unterschied in den Zahlen ja auch darauf zurück dass in dem Artikel von besetzten Stuhlreihen gesprochen wurde. Nur: 2 Reihen (Block a, Reihe 1+2) waren der Presse vorbehalten. Die auch regelmäßig besetzt waren. Die Flaschenpost-Crew gehörte dabei nicht dazu, die saß mit 15 Leuten in Reihe 3 von Block b. Ich hab die besetzten Reigen gezählt ohne zu beachten ob die Leute da Piraten, Presse oder Gäste waren.
Das könnte die unterschiedliche Wahrnehmung erklaren?

Und ja, es sind weniger Piraten nach Bremen (1085) gekommen als nach Neumarkt (1267). Über die Verkehrsanbindung von Bremen oder Neumarkt will ich nun jetzt nicht diskutieren. Insbesondere nicht nach der chaotischen Anreise und den Kommentaren meiner Schwester die mir schon vorher sagte, dass ich bestimmt verspätet ankomme und den Kommentar der Rezeption im Hotel, welche sich ebenfalls nicht verwundert zeigte…

Aber eines kann ich definitiv sagen: Wir haben am ersten Tag des Parteitags fast eine halbe Millionen Zugriffe auf die Website gehabt. Normal sind sonst 30 Tausend. Und dann schreibt jemand, wir sind out? LOL.

Ich möchte aber keinen großen Streissand um irgendwelche Artikel machen. Denn dieses ist ja eben eines der Ziele solcher Artikel: Sie wollen aufregen. Damit dann Leute sie kommentieren, darüber schimpfen, darauf verlinken. Um genau so eben mehr Aufmerksamkeit für das Medium zu erzielen. So ist es dann auch durchaus nicht unwillkommen, dass Artikel von  Leuten geschrieben werden, die dann doch etwas subjektiv und voreingenommen an die Sache herangehen; Und Worte und Formulierungen verwenden, die eine gewisse negative Tendenz ausdrücken oder provozieren. Man kann dies kritisieren, muss es aber nicht.

Wir sind keine Utopisten: Wir wissen, daß wir in einer (noch halbweg) sozialen Marktwirtschaft (im zu verhindernden Übergang  zu einer überwachten Lobbygesellschaft) leben. Die Zeitungen gehören zu Verlagen. Die Verlage wollen Geld verdienen. Wir kaufen die Zeitungen und unterstützen dies somit. Oder auch nicht.
Aber jeder ist doch selbst frei, Boulevardjournalismus zu lesen. Und sich sein Bild aus dem zu holen. Wer nur diese Quellen lesen oder hören möchte und den Rest ausblenden mag, kann dies doch tun.Wir als Piraten unterstützen diese Freiheit.

Aber wir müssen diese subjektive Sicht, mit der andere Geld verdienen, ja auch nicht alleine stehen lassen:
Jeder von uns kann auch eine eigene subjektive Sicht ergänzen. Um Menschen, die versuchen sich selbst ein größeres Gesamtbild zu bilden, entsprechende weitere Aspekte und Informationen zu liefern.

 

Meine subjektive Sicht auf den Parteitag sieht so aus:
Im Vergleich zu anderen Parteitagen finde ich es wirklich weit  weniger aufreibend. Klar gibt es ein paar Leute, die merken, daß sie hier falsch sind oder eine Auszeit brauchen und deswegen im Twitter und co was ablassen. Aber diese Zahl ist im Vergleich zu vielen anderen Veranstaltungen weniger geworden. GO-Anträge halten sich sehr in Grenzen und von Chaos kann hier eigentlich keine Rede sein.

Auf den kürzlich veranstalteten Parteitag der SPD darf viel eher von Chaos gesprochen werden. Dort wurde die gesamte Wahl des Vorstands erneuert durchgeführt, weil die Ergebnisse nicht passten. (Die Kandidaten wurden fast allesamt in dem ersten Versuch abgewählt. Und da es dort keine Alternativkandidaten gibt, sondern eigentlich nur gesetzte Leute, die nicht gegen andere antreten müssen, hätte das entsprechenden Folgen gehabt). Aber dies war allenfalls ein Nebensatz in wenigen Medien.
Chaos? Bei einer Regierungspartei in Spe? Bei  einer Partei, die bei vielen Verlagen durch Teilhaberschaft oder Besitz mit im Boot sitzt unmöglich.

 

Zurück zu den Piraten.
Was nicht berichtenswert erscheint:Die Piraten sind jetzt mehr und mehr dabei sich in ihren organisatorischen Strukturen zu etablieren. Da ist viel sehr „langweiliges“ Zeug was passiert.  Weil es einfach im Hintergrund passiert:  Aufstellungsversammlungen zur EU-Wahl die in allen Kreisen im ganzen Bundesgebiet statt finden zum Beispiel. Oder die Aufstellungsversammlungen zu Kommunalwahlen in vielen Ländern.

Das wird derzeit kontinuierlich und ernsthaft gemacht. Ohne viel Brimborin. Aber ohne das noch -wie früher- Sockenpuppen oder  unerwünschte Leute von radikalen Rändern noch groß Chancen haben.
Da passiert nicht viel skandalöses. Und genau damit passiert nichts,  was einer Zeitung die von Verkaufszahlen abhängig ist, eine verkaufsfördernde „Story“ gibt.
Klar gibt es einige Menschen, die nach der Bundestagswahl enttäuscht waren und mit viel Tohuwabuho aus der Partei ausgetreten sind. Diesen Menschen würde ich ein paar Fragen stellen: Haben sich eure politischen Ziele und Visionen geändert? Glaubt ihr, dass ihr diese Ziele, beispielsweise von  einem freien Netz, in einer anderen Partei umsetzen könnt. Zum Beispiel in der SPD oder in der CSU?

Jeder kann ja gerade bei dem Koalitionsvertrag sehen, wieviel das netzpolitische Lager berücksichtigt wurde. Nämlich garnicht. Stichwort Vorratsdatenspeicherung.

Die Piraten sind und bleiben die einzige Partei, die es wagt anzuecken. Die netzpolitische und freiheitliche Aspekte ernsthaft und dauerhaft  im Fokus behalten und nicht tagesabhängigen politischen Deals unterordnen.
Ich glaube, viele Piraten sind nicht ausgetreten oder inaktiv geworden, weil sie ihre Visionen oder Ziele verloren haben. Sondern viel mehr aus anderen Gründen: Frust ob Verwaltungsgeschäft, persönliche Angriffe einzelner Trolle, etc.   Diese kann man im Griff bekommen. Und es geschieht auch. Es ist auch eine Frage des Lernens der betroffenen Piraten.

Man muss lernen zu filtern. Wenn man nur auf die lauten Trolle hört, aber nicht die Menschen, die einen schweigend zustimmen, ist dies unfair letzteren gegenüber. Trolle gibt es überall. Sie sind nicht nur bei den Piraten und im Heiseforum. Sie sind auch bei anderen Parteien. Nur weil anderswo die Worte geschliffener und wohlfeiner sind, sind sie nicht weniger verletztend. Diese Gründe für Aus- und Rücktritte ändern nichts, aber auch garnichts an den eigentlichen Zielen. Diese Ziele bleiben und daher bleibt auch die Piratenpartei.

tl;dr:

Die Piraten sind da. Sie sind angekommen in der Wirklichkeit. Und sie bleiben.
Message an Altparteien: Wir gehen so schnell nicht weg.
Oder wie früher gesagt: „Ihr werdet euch noch wünschen, wir sind politikverdrossen!“

Messsage an Medien: Freut euch, wir werden euch noch viel, noch sehr viel Stoff zum berichten geben. Und wir laden euch ein. Macht nur eure Augen und Ohren auf. Dann werdet ihr sehen, wir sind da. Und wir sind überall. Nicht nur in Kneipen in Berlin und Frankfurt.

 

Und ja: Ich bin Pirat.

4 Kommentare zu “Die Piraten sind da – und sie gehen nicht wieder weg

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  1. Ich bin ausgetrten (als die Piraten deutlich über 5% standen),. weil zu veile Piraten keinen Wert darauf legten sich wirklcih um bessere Lösungen zu suchen.
    Oragansiation und Wahlkampf war IMMER wichtiger.

    1. Mal eine Gegenfrage: Hast du dabei auch auf die konkreten Tätigkeiten der Piraten vor Ort geschaut. Also da wo du wohnst?
      Warst du mal auf einem Stammtisch?

      Aus der Erfahrung meines Kreisverbandes sehe ich, daß hier viel auf kommunaler Ebene gemacht wird. Das Problem ist nur, daß man es sehr schwer hat, wahr genommen zu werden. Wir haben hier in Erlangen glücklicherweise ein Stadtrat und im Bezirk ein Landrat als Piraten. (Letzterer sogar als Pirat gewählt und nicht etwa jemand der irgendwann aus einer anderen Gruppe gewählt wurde und dann später erst zu den Piraten wechselte.)
      Das ermöglicht einerseits eigene Anträge zu bringen und aus den Stadt- oder Bezirksparlamenten zu berichten, andererseits verlangt es eben auch die konkrete Beschäftigung mit vorhandenen kommunalen Problemen.
      Sprich: Da wird Politik gemacht.

      So ist das jedenfalls hier in Erlangen.

  2. Hallo Herr Wiese,

    in der Halle befanden sich laut Florens Dölschner, dem Bundesbeauftragten für Bundesparteitage der Piraten, 1.600 Stühle: http://twitter.com/FlorensD/status/407527491436576768

    Auf dem Parteitag waren 1085 Piraten-Mitglieder akkreditiert: http://www.machmaldieaugenauf.de/2013/12/02/abschliessende-statistiken-zum-bpt132/

    Die Piraten nahmen demzufolge 67,8 Prozent der Plätze in der Halle ein.

    Die taz hat das Leistungsschutzrecht nie unterstützt. Was wir von dem Vorhaben halten, können Sie hier nachlesen: http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2013/03/02/a0179

    Beste Grüße
    Sebastian Heiser

    1. Hallo Herr Heiser,

      Danke für ihren Hinweis: Touchee, da war ich erstmal perplex. Ich hab die Zahlen oben mal ergänzt und eine mögliche Erklärung beigefügt.

      Der Hinweis zum LSR bezog sich auf die FAZ. Ausserdem hatte ich noch einen Artikel im Hinterkopf der von Welt/Abendblatt publiziert wurde, während ich den Text (ursprünglich eine E-Mail an eine Person) schrieb.