Second Life in der Lehre

In den letzten Wochen und Monaten war das Thema Second Life Gegenstand vieler Presseartikel und Berichten im Fernsehen. Auch das Campusmagazin UNICUM berichtete in der Märzausgabe darüber.
Kaum ein anderes Thema aus dem Bereich der IT geriet bislang so intensiv und so schnell im Blickpunkt der Medien. Gleichzeitig zeigt sich, dass Second Life ein breites Nutzungsfeld bietet, so dass die Meinung darüber, was es ist und welche Bedeutung es hat selbst innerhalb von einzelnen Redaktionen sehr kontrovers gesehen wird.
Die UNICUM-Ausgabe liefert hierzu auch gleich ein schönes Beispiel: Während die Redaktion im Editorial und in Bildunterschriften Second Life ein Spiel nennt, schreibt der eigentliche Autor des Artikels schon in zweiten Satz, dass man genau mit dieser Ansicht falsch liegt.

Ich will mal nicht auf diese ganzen Pressemeldungen eingehen und auch nicht auf die üblichen Dinge, die Schwerpunkt der meisten Artikel sind. Stattdessen will ich den Fokus auf den Aspekt der Lehre setzen.

Einführung – Was ist Second Life?

Second Life eine virtuelle Welt, die auf den Bildschirm von Rechner dargestellt wird. Anwender erfahren diese Welt „in der ersten Person“, da sie selbst dort als personifizierter Charakter, als „Avatar“, repräsentiert werden.
Ganz oberflächlich könnte man Second Life als ein Online-Chat mit einer 3D-Welt nennen. Unter dieser Sichtweise ist die Verknüpfung zu bekannten Online-3D-Spielen, wie zum Beispiel „World of Warcraft“ naheliegend. Dementsprechend betrachten viele Second Life ebenfalls nur als Spiel.
Diese Sichtweisen greifen jedoch zu kurz. Denn Second Life bietet mehr. So zum Beispiel kann man es auch als Musik-Plattform für gemeinsame Internet-Life-Musik-Events sehen, als alternatives Online-Conferencing-System, als Lernplattform aber natürlich auch als Business-Plattform.
Grundsätzlich muss man sagen, dass Second Life das ist, was Anwender daraus machen. Die Plattform bietet von Hause aus verschiedene Hilfsmittel:

  • Funktionen zum Mikropayment
  • Kommunikationssysteme mit lokalen Chat, Instant Messaging, und Gruppen-Werkzeugen; Darunter auch Möglichkeiten zur Life-Ton- und Bildübertragung
  • 3D Konstruktionswerkzeuge für die relativ einfache Erstellung von 3D-Modellen
  • Physiksimulation für Objekte
  • Social-Networking-Funktionen

Medienberichten gehen leider zumeist nur sehr oberflächlich auf diese Funktionen ein und konzentrieren sich dagegen eher auf reisserische Themen; wie zum Beispiel auf das Thema „Cybersex“.

PR-Hype?

Es bleibt die Frage, was bietet Second Life nun eigentlich wirklich.
Die ganzen Berichte der letzten Wochen und Monaten legen den Verdacht nah, dass es sich hier um lediglich um einen hochgeputschten PR-Hype handelt. Zumal es nicht zu übersehen ist, dass viele Artikel mehr oder minder voneinander abgeschrieben sind und sich auch in Fernsehberichten die typischen Plots wiederholen.
In das Schema passt auch, dass plötzlich sehr viele Firmen und Einrichtungen Vertretungen im Second Life eröffnen. Die Nutzung von Cross-Media-Kampagnen wurde in den letzen Jahren zum üblichen Pflichtprogramm von professionellen Werbeagenturen. Dementsprechend darf sich keine Werbeagentur eines neuen Mediums verschließen.

Auch viele Webagenturen haben aus den Fehlern der letzten Jahre gelernt. Diese wollen es nicht wieder passieren lassen, dass man alleine auf veraltete Techniken und nicht etablierbare Insellösungen setzt.
Gerade die aktuellen Anforderungen an standardkonforme und allgemein zugängliche Webauftritte zeigt dies deutlich. Webagenturen, die auf sich auf Lösungen wie Tabellenlayouts oder Flash spezialisierten und somit auf einem technischen Stand von 2001 verharrten, können die derzeitigen Forderungen an professionellen Webauftritten nicht erfüllen und verlieren somit zu recht viele lukrative Aufträge.

Viele Firmen möchten daher auf keinen Fall wieder einen vielversprechenden Trend in der IT verschlafen. Sollten sich das „Web3.D“ durchsetzen, möchte man sich schon rechtzeitig Kompetenzen aufbauen um für einen neuen Zukunftsmarkt gerüstet zu sein.
Einer dieser Webagenturen ist die Pixelpark AG.
Diese hat nicht nur einige Vertretungen kommerzieller Firmen (wie zum Beispiel Adidas, Dell, Sony, … ) im Second Life erstellt, sondern auch die Vertretung der Rheinischen Fachhochschule.

Im White Paper Second Life und Business in virtuellen Welten analysiert Pixelpark die Chancen und Probleme von Second Life in Hinblick auf wirtschaftliche Aspekte.

Second Life in der Lehre

Betrachtet man Second Life im Blickwinkel der Nutzbarkeit für die Lehre, ergeben sich einige interessante Möglichkeiten.
Screenshot der Harvard-Universität in SL

Viele amerikanische und einige europäische Hochschulen sind bereits mit eigenen Vertretungen in Second Life. Beispiele:

Die Rheinische Fachhochschule (RFH) geht auf Second Life in Rahmen des Studienganges Medienwirtschaft im Fach Multimedia ein. Ausgewählte Lehrveranstaltungen finden im virtuellen Vorlesungssaal statt. Wie bei Präsenzveranstaltungen können dabei auch Vortragsfolien gezeigt werden. Zeitgleich werden Audiokanäle (mit Hilfe externer Software wie Ventrilo,Teamspeak oder Skype) angeboten mit denen die Teilnehmer die Vorlesung auch akustisch verfolgen können.

Die teilnehmenden Studierenden haben dieses zusätzliche multimediale Lernangebot positiv bewertet, da es eine ideale Ergänzung zu den Präsenzveranstaltungen darstellt.
Die Losgelöstheit von geografischen Einschränkungen ist laut Dozent Bernd Schmitz, Second Life Spezialist und Lehrbeauftragter bei der RFH ein wesentliches Merkmal. Somit bietet Second Life räumlich voneinander entfernten Akteuren eine Plattform für Besprechungen und gemeinschaftliches Arbeiten an Projekten.

Screenshot des virtuellen Vorlesungssaals der Rheinischen Fachhochschule
Neben der RFH gibt es auch an anderen Hochschulen in Deutschland Bestrebungen, sich vermehrt mit Second Life auseinander zu setzen und es sogar zu nutzen. So zum Beispiel im Rahmen des eduCampus der Universität Kassel und der Berliner Universität der Künste.
Auch hier an der Universität Erlangen-Nürnberg ist Second Life mögliches Thema einer wissenschaftlichen Arbeit.
Am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik II wurde bereits vor 2 Jahren eine Studienarbeit ausgeschrieben, dessen Ziel es ist auf Basis einer Situationsanalyse in Second Life ein Angebot für studentische Dienste (z. B. eine Universitätszeitung, ein Informationsforum) zu entwickeln und umzusetzen.

Durch die Möglichkeiten der Plattform stellt sich Second Life dann auch immer mehr als Ergänzung, wenn nicht sogar als Alternative zu den klassischen E-Learning-Systemen dar.
Zitat Marian Heddesheimer, lernpilot.de:

Was allerdings beim bisherigen E-Learning oder Online-Lernen fehlt, ist der soziale Kontakt, den man üblicherweise in einer Klassen/Lernsituation hat. Da fragt der Sitznachbar „Du, wie geht das noch mal?“ und man kann eben schnell weiterhelfen. Man kann meist auch gleich sehen, wie weit die anderen gerade mit ihrem Objekt sind.
Das hilft häufig um Missverständnisse zu vermeiden oder zu klären. Auch sonst lassen sich Fragen sofort klären, da der Lehrer immer anwesend ist und gleich auf Fragen antworten kann.

Vollständiger Artikel: Lernen in der virtuellen Welt von Second Life

Die Einfachheit der Benutzeroberfläche und die enthaltenen Kommunikationsfunktionen sind ebenfalls ein Argument für Second Life.
In Bezug auf die Funktionen zur Kommunikation zwischen den Teilnehmern zeigt sich, das mit Second Life auch komplexe Aufgaben von wenig geschulten Anwendern durchgeführt werden können. Mit wenigen Mausklicks ist es beispielsweise möglich, eine Gruppenkonferenz oder einen Vortrag durchzuführen.
Bei einer klassischen Videokonferenz dagegen bedarf es hierzu Spezialisten und entsprechende Hardware. Zur Verteidigung dieser Techniken muss jedoch gesagt werden, dass dann die Qualität der Videokonferenz auch eine weit bessere ist. Die Körpersprache und Rhetorik die sich bei echten Videoübertragungen nutzen lassen, sind in virtuellen Welten derzeit nicht abbildbar.

Diese Vorteile machen sich auch neben der klassisches Lehre beim Besuch eines Webmontag im Second Life bemerkbar. Trotz aller -auch in der realen Welt üblichen Anfangsschwierigkeiten- waren die bisherigen Veranstaltungen doch recht überzeugend.

Screenshot des Vortragssaal im Corecon Convention Center

Allerdings bleiben natürlich die klassischen E-Learning-Systeme dort, wo es eben nicht um Präsenzveranstaltungen geht, sondern um Angebote des individuellen Lernens, weiterhin bedeutend.

Geradezu predisziniert wäre Second Life bei Vorlesungen zu Themen bei den Experimente aus dem Gebiet der Physik oder der Mechanik vorgeführt werden. Die vorhandene „Havoc 1“ Physiksimulation bietet die Möglichkeit, eigene Experimente nachzubauen und simulieren zu lassen. Dies ganz ohne die Gefahr, dass ein Studierender an der falschen Stelle zupft und das aus dem Lehrbeispiel zur Flugbahnberechnung ein peinliches Beispiel der Folgen der Impulserhaltung wird.

Fazit

Second Life bietet ohne Zweifel eine große Palette an Möglichkeiten. Dies nicht nur in Hinblick auf die Nutzung als Freizeitbetätigung, sondern auch in Hinblick auf die Lehre.
Hier ist es jedoch notwendig, vorbehaltlos an das Thema heranzugehen und sich nicht allein durch spektakulär aufgezogene Medienberichte beeinflussen zu lassen.
Die Frage, ob sich Second Life oder ein Nachfolger wie OpenSim sich durchsetzen und sich das ganze als mehr als ein nur Presse-Hype erweist, bleibt jedoch offen.
Es sei jedoch daran zu erinnern, dass auch das World Wide Web in den Anfangsjahren nur als Spielwiese von Computerfreaks angesehen wurde. Was daraus wurde, wissen wir alle.