BayBITV – nachgedacht

Nach einigen Nachdenken über den Entwurf zur BayBITV komme ich zu dem Schluß, daß sie vielleicht doch nicht ganz so schlecht geworden ist.

Warum:
In der Erklärung zur Verordnung stehen einige Dinge, die fast wichtiger und durch ihre Veröffentlichung wirksamer als die Verordnung an sich sind:

Im Kapitel „Kosten“, Absatz „Kostenermittlung allgemein“ steht folgender Satz:
Pro Internetauftritt wird auf Aufwand für die Umstellung auf Barrierefreiheit von durchschnittlich ca. 5000 bis 40.000 Euro geschätzt, wenn externe Unterstützung in Anspruch genommen wird. Bei Einsatz eigenen Personals reduzieren sich wegen der gerinigeren Personalkostensätze die Kosten auf ca. ein Drittel.

Der erste Satz, der von der IuK-Leitstelle des bayrischen Innenministeriums, der zentralen Instanz für IT-Koordination in Bayern, verfasst wurde, ist Dynamit!
Denn dieser Satz gibt nun eine obere Grenze vor, wie teuer ein Webauftritt im öffentlichen Dienst werden sollte. Wenn ein Webauftritt teuerer als 40.000 Euro werden sollte, wird dies nicht mehr ohne Begründung gehen.
Die kommerziellen Hersteller von Content-Management-Lösungen werden daran gewaltig zu schlucken haben, gibt es doch einige Systeme, die alleine in der Anschaffung über 100.000 Euro kosten können.
So zum Beispiel NPS und Imperia.

Wenn man dann auch noch den Satz zweiten hinzuzieht, der von eine Drittelung der Kosten bei Verwendung eigener Mitarbeiter spricht, also von einer Summe von ca. 1600 bis 13.000 Euro pro Webauftritt, dann sind die Konsequenzen noch merkbarer.
Der durchschnittliche Mitarbeiterstundensatz im Öffentlichen Dienst beträgt 30 Euro.
Somit kann man auf eine durchschnittlichen Arbeitsaufwand von 53 bis 433 Stunden, also (bei einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden) auf 1,5 bis 11 Wochen kommen.

Zudem wird hier von der Umstellung eines Webauftritts gesprochen.
Das bedeutet: Die Integration vorhandenen Inhalte muss darin enthalten sein!
Da die Integration von alten Inhalten bei einem Relaunch einen nicht geringen Teil der Arbeitszeit einnimmt, bleibt nicht viel Geld bzw. Zeit übrig.

Meines Erachtens führen die Berechnungen nur zu einem Schluß: Es kann kein Geld mehr für teure kommerzielle Content-Management-Systeme ausgegeben werden. Kostenfreie OpenSource-Systeme werden somit in Zukunft bevorzugt werden.

Es geht aber noch weiter:

Eine deutliche Aufwandsreduzierung auf bis zu einem Drittel wird dadurch möglich, dass für Gruppe von Behörden einheitliche Internetportale mit standardisierten Funktionen bereitgestellt werden.

Das bedeutet nichts anderes (und das ist nicht nur interpretiert, sondern ich weiß es durch eigene Consultation mit der IuK), als das standardisierbare Lösungen von anderen Portalen und Projekten vorhanden sind und genutzt werden sollten.
Dies geht stark in Richtung Universal Design.
Beispielsweise bietet das YAML-Framework hier entsprechende Lösungen für Entwickler an. An der Uni Erlangen bin ich selbst tätig bei der Erstellung eines ähnliches „Webbaukastens“, bei dem auf Basis eines festen Markups verschiedene CSS-Designs einerseits aber auch Anwendungen und Inhaltsvorlagen andererseits bereitgestellt werden.

Mein derzeitiges Fazit zur BayBITV:
Ja, es ist Schade, daß die eigentliche Verordnung das Gesetz fast unwirksam werden läßt.
Mit der Verordnung, insbesondere durch seine Fristen und Ausnahmen, wird die Barrierefreiheit sicherlich nicht erzwungen werden können.
Wohl aber indirekt, nämlich durch die Kostenermittlung, kann und wird es wohl Konsequenzen geben. Durch die mutige Nennung eines vergleichsweise geringen Maximalbetrags, der für einen Relaunch notwendig ist, werden nun all jene in Zugzwang und Erklärungsnot kommen, die mehr Geld ausgeben wollten oder kürzlich mehr Geld ausgegeben haben.
Dies hat meines Erachtens in einer öffentlichen Verwaltung mehr Wirksamkeit als eine unter vielen anderen Verordnungen.
Pikant wird die Sache zudem werden, wenn der Landesrechnungshof (oder auch der Bundesrechnungshof) diese Zahlen so übernimmt und als Messlatte für seine Prüfungen heranzieht.

2 Kommentare zu “BayBITV – nachgedacht

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  1. (Add:)
    Übrigens wäre auch anzumerken: Wenn schon bei der Erstellung des Webauftritts gespart werden muss, dann ist klar, daß kein Geld für ein Zertifikat ausgegeben werden kann.
    Wozu auch noch? Aufgrund der Verordnung unterliegt man keinerlei Pflicht mehr, braucht also den vermeintlichen Rechtsschutz den ein Zerrifikat bietet, nicht mehr.

  2. Ein Zertifikat ist für verordnungspflichtige Behörden vielleicht nicht interessant, aber für die freie Wirtschaft als Marketinginstrument schon.

    Martin Stehle