In den virtuellen Untergrund

– Gedanken zu Softwarepatenten und der Zukunft der Netzkultur

Prolog

Die Pressemeldungen und Aktionen der OpenSource-Bewegung, der mittelständischen Wirtschaft und weiteren Organisationen gegen die Einführung von Softwarepatenten sind Dauerthema in diesen Tagen. Zumindest auf den einschlägigen Medien, die einen nahen Bezug zum Internet haben.
Derzeit gehen die Prognosen dahin, daß es Fifty-Fifty steht; Wobei dem Netz nahe stehende Medien dies so darstellen, als ob die EU-Parlamentarier und Parteien, welche sich mit dem Thema ernsthaft und vollständig beschäftigt hatten, klar auf Seiten der Gegner von Softwarepatenten sind. Dagegen ständen solche Leute, die sich nicht informiert hätten, sondern stattdessen von der Lobby der amerikanischen Softwareindustrie haben beschwatzen lassen.

Nun, wie auch immer es ist und was auch immer daran wahr ist, mit welchen finanziellen Methoden Lobbyisten Überzeugungsarbeit für unsere gewaltig unterbezahlten Abgeordneten leisten, es reicht nicht aus, einfach hier auf die Barrikaden zu gehen und das Leid der Welt zu klagen!
Die Frage ist, was passiert wirklich, wenn die Softwarepatente durchkommen? Was sollen Netizens, wie ich tun, die nicht akzeptieren, daß die Grundlagen der Netzkultur ad absurdum geführt werden.
Es geht darum vorbereitet zu sein!

Dies auch unter einem anderen Aspekt:
Die derzeitige Diskussion um Softwarepatente ist im Verlauf der letzten 9 Jahre, die ich bereits im Internet bin, nur ein Höhepunkt und Aufreger unter vielen. Es ist nicht mehr als eine Etappe mehr weg von einem freien Netz, hin zu einem Kommerz-Net.
Ich fürchte daher, daß selbst wenn die Proteste gegen die Softwarepatente Erfolg haben, auf lange Sicht der Kampf längst verloren ist.

Der Kulturraum Internet existiert derzeit nur in den Köpfen derren, die dieses in Form einer Community mit Geben und Nehmen aufgebaut haben. Ganz ohne Patente, ohne Geld und ohne Gesetzesbuch.
Doch diese Werte sind nicht die Werte, die der Großteil der neuen, jungen Surfer und Nutzer haben.

Ein Gesetz kommt durch…

Also angenommen, das die Softwarepatente durchkommen…
…dann kann ich fast jeden Tag wegen meiner Artikel und vorallem wegen meinen CGI- und Perl-Skripten abgemahnt werden.
Diese Gefahr ist um so höher, um so komplizierter meine Skripten sind. Glücklicherweise hab ich im öffentlichen Bereich nur solche Skripten, die nicht sonderlich lang sind oder komplex sind. Auch könnte es möglicherweise in Form eines faulen Kompromisses zu einer Art Amnestie kommen für all das, was älter als ein gewisses Datum ist.
Zudem kann ich bei allen Skripten nachweisen wann sie gemacht wurden und würde damit in der Veröffentlichung sicher vor der Eintragung einiger Patente gewesen sein.

Ich gehe also davon aus, daß wenn ich Probleme bekomme, dann höchstwahrscheinlich nur für alle Skripten und technische Artikel, die ich ab diesem Jahr geschrieben und veröffentlicht habe.
In Folge bedeutet dies: Ich darf nicht mehr alles publizieren was ich -obschon mit eigenen Mitteln und Erdenken evolutioär erzeugt- selbst gemacht habe.

Auf diese Art der Kommunikation möchte ich jedoch nicht verzichten. Meine Gedanken sind frei. Und ich lasse sie mir nicht einschränken. Wenn ich von selbst auf eine Idee komme, dann will ich sie auch weiterhin ausdrücken und gegebenenfalls auch umsetzen können.

Es ist für mich ein wesentlicher Bestandteil der Netzkultur, dass man sich austauscht mit Informationen und nützlichen anderen Dingen. In meinen Fall sind dies Skripten und Artikel.
Ich hab aus dieser Art der Netzkultur selbst sehr viel gelernt und tu es weiterhin. Ohne die Hilfe anderer Kollegen oder anderer Quellen hätte ich nie ein Experte werden können auf mein Gebiet, wäre ich doch dann nur auf traditionellen Weg des Erlernens angewiesen gewesen. Es ist meine Entscheidung dass ich das, was ich von anderen Netziens frei bekommen habe, in einer ähnlichen Form zurückgebe.

Doch dieser Weg ist dann durch die Softwarepatente und anwaltliche Einschüchterung öffentlich verbaut.
Ein Ausweg, der sich mir darstellt, ist der Weg in den Untergrund.

Der Virtueller Untergrund

Es gibt genügend Möglichkeiten, mit denen man so anonym im Netz publiziert, dass die Rückverfolgung zu teuer wird für solche Firmen, die mit den Serienabmahnautomaten in der Tasche Geld abzocken wollen.

Ich kann mir dabei sicher auch vorstellen, dass es genügend andere Netizens gibt, die ähnlich denken wie ich und zusammenarbeiten könnten um ein eigenes „Meta-Internet“ (Meta-Net) aufzubauen.
Ein solches Meta-Net wäre ein Internet, welches sich mit Hilfe der normalen Protokolle, aber am besten gleich auf IPv6, zusammensetzt, quasi auf Application Layer 5 oder 7, je nachdem. (Wahrscheinlicher wäre es ein Layer 8 gemäß dem OSI/ISO-Referenzmodell, würde dieses netz doch nur auf den bisherigen Protokollen aufsetzen und auch die Ergebnisse der Application Layer benutzen und weiterreichen.)

Die Techniken hierfür sind bereits vorhanden, die Erfahrungen auch:
SOAP, WSDL könnten als Austauschmedium dienen. Als Datenaustausch würde XML oder darauf aufbauen RSS genutzt werden. Die Verbreitung und der Einsatz auf Serverseite ähnlich wie die bekannten Filesharing-Programme und auch die boomenden Virtual Private Networks über Funklan und anderen Medien.
Zur Anonymisierung der Benutzer könnten Public/Private-Key Verfahren genutzt werden.

Dieses Meta-Net müsste von dem Aufbau so sein, dass es folgenden grundlegenden Prämissen gerecht werden würde:

  1. Es gibt keinerlei Bezug und Verbindung zwischen virtueller und realer Person.
    Erst recht nicht in finanzieller Hinsicht. Jeder Benutzer ist zwar über eine eindeutige virtuelle Identität (ähnlich einer MAC-Adresse) einmalig festgelegt, jedoch wird keinerlei Verknüpfung mit der realen Person erlaubt.
  2. Der Austausch von Informationen erfolgt system- und clientunabhängig über SOAP und XML. Informationen bedienen sich der herkömmlichen Protokolle. Es wird im wesentlichen der Übertragungsweg neu definiert, so daß die erste Prämisse erfüllt bleibt.

Sowas wäre eine Möglichkeit, die aufwendig wäre. Aber machbar. (Auf die technischen Details der Implementation will ich in diesem Artikel zunächst nicht eingehen.)
Dadurch, daß keinerlei Bezug zur Realität vorhanden sein dürfte, würde auch jedwede kommerzielle Tätigkeit entschieden beeinflußt sein: Virtuelle Personen haben schlichtweg kein Geld, welches in der realen Welt Bedeutung hätte.

Wie beim SPAM liegt die Aufgabe des Filterns beim Nutzer. Natürlich würde es sich nicht vermeiden lassen, dass das Netz missbraucht werden würde von Idioten.
Jedoch waere die Wahrscheinlichkeit etwas geringer: Ohne die Verbindung zu einer realen Person lässt sich kein Geschäft machen. Kein Pornoanbieter, um mal das klassische Beispiel zu nehmen, würde in solch einem Netz ein Geschäft machen können.
Die einzige Währung wären Informationen.

Anonymität kontra Feedback

Warum eigentlich so kompliziert? Ich könnte doch jetzt bereits die diversen Angebote und Tools nutzen um es etwaigen Verfolgern schwer zu machen.

Rolf Rost hat die Antwort letztens aufgeworfen: Wir alle die wir Infos frei zum Austausch ins Web stellen, wollen doch in einer gewissen Art und Weise Feedback erhalten.
Die Anerkennung durch andere, ist ein wichtiger Bestandteil der Netzkultur und der Kommunikation.
Ohne dies geht es schlichweg nicht.

Eine Flucht in die vollkommende Anonymität wäre also nicht drin. Jedenfalls nicht mit den jetzigen Methoden.
Wenn man jedoch ein Meta-Net, wie das was ich oben skizzierte, aufbauen würde, wo einerseits jede virtuelle Persönlichkeit einmalig ist, gleichzeitig aber keinerlei Bezug zur realen Person möglich wäre, so wäre dies eine Lösung aus dem Dilemma.

Ist der Gang in den virtuellen Untergrund die Lösung?

Bei all den technischen Möglichkeiten bleibt die grundsätzliche Frage: Ist der Gang in den Untergrund, in die Anonymität vielleicht und versteckt hinter Newbiesicheren (das heisst Anwalt und Abzocker-sicheren) Medien eine Möglichkeit? Gar eine Notwendigkeit?

Muss man dies wirklich tun?

Und wenn man es tut – wie lang hätte es bestand? Ein solches Meta-Net wäre zunächst attraktiv fuer alle, die von der jetzigen Kommerzialisierung des Internets angeödet sind und verfolgt werden, weil sie es wagen selbstständig zu denken.

Aber irgendwann würden dann auch die anderen rein kommen. Würde es nicht irgendwann wieder so werden wie das normale Netz? Ist der Gang in den Untergrund nicht nichts anderes als eine ewige Flucht?
Lohnt es sich, fuer die Idee von einer freien Netzkultur in den Untergrund zu gehen bzw. sich ein neues Netz zu bauen? Oder kann und muss man noch kämpfen?

Evolution hin zur Unmoral oder ein neuer Weg?

Als das Internet noch jung war, war es seltsamerweise auch noch unverdorben. Es gab noch keinen rechtsfreien Raum Internet.
Dieses wurde erst herbeigeredet, als die Masse der User reinkam.

Was spräche dagegen, daß es in dem Meta-Net ähnlich kommen könnte?
Wie beim Internet geht es harmlos und anscheinend richtig los: Einige Leute basteln was tolles. Dann kommen andere Leute hinzu.
Irgendwann kommt es auch mal zu einem Streit und schnell fliegen die Fetzen, was dann zu gegenseitigen Beleidigungen führt. Da aber einige sowas nicht auf sich sitzen lassen möchten, aber sich nicht selbst wehren wollen, wird also das Gesetz herangezogen. In der Realität braucht man sich schließlich nicht beleidigen lassen, also will man dieses Recht auch im Netz haben.
Da gibt es noch nicht viel zu sagen, denn ist ist nunmal selbstverständlich in einem gute sozialen Umfeld, daß Beleidigungen nicht toleriert werden.

Aber es ist der Anfang vom Ende.

Nachdem man erstmal Beleidigungen abgefangen hat , muss man selbiges gegen Betrug und Unterstellungen tun. Betrug und Unterstellungen haben ebenso wie Beleidigungen nichts in einem geordneten sozialen Miteinander verloren. Entsprechend ist es selbstverständlich, daß diese geahndet werden müssen.
Also her mit dem Gesetz aus der Realität.

Betrug wiederum, zwar zwischen einzelnen Leuten angefangen, kann sich dann sehr schnell wieder auf Firmen und Geschäftsbeziehungen ausdehnen. Und hiermit haben wir schon die Rufschädigung definiert.
Also werden hierfuer ebenfalls die entsprechenden Gesetze hergenommen.

Nun, wenn man Rufschädigung und Betrug hat, dann kann man sehr schnell dazu kommen, dass jemand als Kriminell angesehen wird, der eine Domain hat, auf die jemand anderes Rechte als Firma oder Gewohnheit hat.
Schließlich würde jemand beispielsweise andere Leute in die Irre führen, der sich einfach den Nicknamen von jemand anderes reserviert, welcher jedoch unter den Namen weit bekannt ist.
Und schon sind wir beim Markenrecht.
Also her damit und dem neuen Medium aufgestülpt.

Und so weiter und so fort.

Früher oder später wären wir also wieder da, wo man nicht hinwollte: Ein Netz, bei dem man sich nur mit einer Rotte Firmenanwäte im Rücken sicher bewegen könnte. Und jeder müsste Firmenanwälte haben, weil es sowas wie private Netzpräsenzen nicht gäbe. (Vgl. Impressumspflicht, die auf eigentlich alle aktiven Webseiten gilt.).

Was mich daran stört, ist diese Zwangsläufigkeit und dieses Überstülpen auf das Medium. Und die Tatsache, dass Persönlichkeitsrechte an das Gesetz abgegeben werden.
Das Gesetz definiert was richtig und was falsch ist. Und es tut dies für uns, auch wenn wir es besser wissen.

SPAM beispielsweise läßt sich nicht dadurch aufhalten, daß man immer schärfere Gesetze macht oder indem man seine Kontaktinformationen versteckt.
Wie auch in der Realität, in der wir uns antrainiert haben nicht auf jeden flyerverteilenden Zombie zu reagieren, ist auch das richtige Filtern vom SPAM eine Sache, für die man selbst sorgen und die man lernen muß.
(Ich weiß wovon ich da spreche: Ich nutze meine E-Mail-Adresse xwolf@xwolf.de bereits seit 1996 und erhalte täglich mehrere Hundert Mails, wovon jedoch nur ein Bruchteil in die Lage kommt, jemals gesehen zu werden.)

Was mir bei meinem Meta-Net vorschwebte wäre ein ganz andere Ansatz: Völlige Anonymität der realen Person bei gleichzeitiger eindeutiger Zuweisung zu einer virtuellen Präsenz.

Wenn es diese strikte Trennung zwischen Virtualität und Realität gäbe, wären zwei Dinge erfüllt:

  1. Die Kommerzialisierung des Netzes wäre nicht mit den bekannten Mitteln möglich.
  2. Gesetze aus der Realität könnten nicht einfach über das Netz übergestülpt, sprich 1-zu-1 übertragen werden.

Fazit

Eigentlich gibt es kein Fazit, den man einfach schließen könnte und mit dem man dann wüßte was man tun muß.
Ich weiß nicht, wie die Zukunft aussehen wird. Es gibt auf der einen Seite die konkreten Möglichkeiten, sich der beschriebenen Entwicklung zur kommerzialisierung des Netzes zu entziehen.
Auf der anderen Seite jedoch ist der Schmerz des Verlustes möglicherweise noch zu groß um diesen Schritt zu wagen. Noch gibt es Hoffnung. Denn diese stirbt zuletzt.

Es kann in der Tat sein, daß die Zeit für die Idee eines freien Netzes arbeitet: Je länger man im Internet (egal, ob WorldWideWeb, IRC oder anderes) ist und je mehr man sieht und lernt, um so mehr man erkennt, das das Netz kein Videotext-Ersatz ist, um so mehr erlangt man zunächst Verständnis für die Internet-Kultur; Um später selbst Teil davon zu werden.

Die Frage ist, was wird schneller geschehen: Das Armageddon des Netzes durch haltlosen Kommerz oder die Evolution der Benutzer hin zu einer globalen Community.