Kommentar zu Recht + Link – Kein Rechtsfrieden im Internet?

Erst wenige Tage sind vergangen, wo wir auf die Aktion NoAmazon von Richard Stallmann aufmerksam machten, bei der gegen eine zweifelhaften Software-Patentsanmeldung protestiert wird, die die Entwicklung von Softwaretechniken im Internet nachweisbar behindert.

Nun wurden wir wieder von der Situation in Deutschland eingeholt, die wir bisher so gut im Hinterkopf verdrängten. Nachdem bereits seit geraumer Zeit Abmahnungen betreffend Links, die in einer bereits vielfach kopierten Einführung ueber HTML, namens SelfHTML, gemacht wurden, welche auf eine amerikanische Software mit den Namen „FTP Explorer“ wiesen, mit der Begründung daß eine Verwechslungsgefahr zur Marke „Explorer“ der Firma Symicron gegeben sei, wurde nun der Autor von SelfHTML, Stefan Münz, selbst abgemahnt.

Im Gegensatz zu viele zuvor Abgemahnten, geht dieser, unterstützt von der Initiative Freedom for Links, den Gerichtsweg und erlaubt damit endlich die Möglichkeit einer rechtlichen Klärung dieser Situation: Es wurde eine negative Feststellungsklage eingereicht.
Eine negative Feststellungsklage, bzw. die gerichtliche Auseinandersetzung, ist hierzu der einzige Weg – leider zu Lasten des jeweiligen Betroffenen, der zur Finanzierung des Anwalts ersteinmal tief in die Tasche greifen muß -ob er oder sie Recht hat oder nicht.
Da viele diesen Weg bisher scheuten, wählten Sie den vermeindlich kostengünstigeren Weg in der Bezahlung der anwaltlichen Abmahngebühr…

Das diese Situation dem deutschen Internet nicht gerade dienlich ist, wurde bereits mehrfach deutlich gemacht. Die Frage, inwieweit sich diese rechtliche Lage mit den Erklärungen der Bundesregierung und der jüngsten Reden des Bundeskanzlers deckt, sei dahingestellt.

Die Frage, die sich ein Laie, der gerade mal froh über seinen frisch installierten Internet-Zugang ist, stellt, ‚Was geht das mich an?‘, muß man dann auch klar beantworten: Jeder, der eine kommerzielle Homepage hat und hierzu gehören auch Laienhomepages, die mindestens ein einziges Werbebanner haben, ist betroffen: Existiert auf der Homepage ein Link, der eine -wenn auch ferne- Markenrechtsverletzung aufweist, kann die Anwaltsrechnung ins Haus flattern. Die einzige Möglichkeit, dies zu vermeiden ist die Durchführung einer kostenträchtigen Markenrecherche bei der Setzung jedes Links, welcher mit einem Namen behaftet ist. (Genauer gesagt, reicht auch dies nicht, da es Anwälte auch nicht stört, wenn die Marke erst später als der Link eingetragen wurde.)

Als Chef von XWolf unterstütze ich die Aktion von Stefan Münz und möchte jeden Leser dieses Textes darum bitten dies auch für sich vorurteilsfrei in Betracht zu ziehen.
Das Internet darf zwar nicht zum rechtsfreien Raum werden, aber auch nicht ins Gegenteil, nämlich zu einer überregulierten, nutzerfeindlichen Zone, entarten.
Im Folgendem lasse ich Stefan Münz selbst zu Wort kommen, indem ich seinen Forensbeitrag aus dem SelfHTML-Forum ungekürzt wiedergebe. Ich schließe mich seinen Statements voll an.
Die folgende Nachricht stammt von Stefan Münz (selfhtml@teamone.de), 12. April 2000, 11:56 Uhr

Liebe Leser,

jetzt heisst es erst mal, tief Luft zu holen und sich ein wenig Zeit zu nehmen. Denn es gibt ein paar neue, brisante Seiten auf Selfaktuell und ein paar weitere Seiten auf der Domain freedomforlinks.de, auf denen ein wichtiges Thema angesprochen wird, und wir bitten alle, diese Seiten erst mal in Ruhe durchzulesen. Auch wenn ihr gerade den Kopf mit was anderem voll habt, solltet ihr euch mit diesen Dingen hier mal beschaeftigen. Denn das betrifft euch durchaus alle – jedenfalls alle, die Homepages im Netz anbieten! Der Link zur Einstiegsseite lautet:

http://www.teamone.de/selfaktuell/talk/rechtundlinks.htm

Wenn ihr die Lektuere hinter euch habt und hoffentlich einigermassen versteht, worum es da geht, solltet ihr euch die folgenden Bemerkungen und Hinweise noch durchlesen:

* Es geht hier nicht nur um einen bestimmten Fall. Es geht generell darum, ein Bewusstsein dafuer zu schaffen, dass die vernetzte elektronische Welt, die WWW-Gruendervater Tim Berners Lee sich vorstellte, als er HTML und <a href> schuf, in Gefahr ist. Die Gefahr besteht darin, dass sich bald niemand mehr trauen koennte, einen Link auf eine fremde Seite zu setzen, weil fast jeder solche Link durch spitzfindige juristische Ansprueche anfechtbar ist und zu Resignation und zum Kollaps ganzer Homepages fuehren kann. Denn wer von euch wuesste genau, wie er reagieren soll, wenn ploetzlich eine anwaltliche Abmahnung ins Haus flattert, die fast 2000 Mark kostet und sich auf einen bestimmten Link der eigenen Homepage bezieht? Die meisten von euch wussten bislang sicher nicht mal, was so eine Abmahnung eigentlich ist. Geschweige denn, wie man darauf reagieren kann.

* Frueher war das Ausfindigmachen von Verwendungen geschuetzter Namen nicht so einfach. Aber im Zeitalter von Altavista&Co. kann ein findiger Anwalt den Tag einfach damit beginnen, nach einem markenrechtlich geschuetzten Begriff seiner Mandantenschaft zu suchen und aus den Suchtreffern schnell mal wahllos ein paar heraussuchen. Dann setzt er den Namen des Homepage-Anbieters und ein paar andere Variablen in seinem Serienbriefprogramm ein, und schon ist die naechste Abmahnung versandfertig. Zwei oder drei davon am Tag, und man kann mit wenig Aufwand richtig gutes Geld verdienen und hat nebenher jede Menge Zeit. Dabei wird auch nicht lange gefackelt. Auf solche feinen juristischen Unterschiede wie blosse Nennung eines geschuetzten Zeichens und dessen kommerzieller Benutzung wird gar nicht eingegangen, oder es werden wilde Behauptungen aufgestellt. Der Einschuchterungseffekt, den die rechtlichen Drohgebaerden im Abmahnschreiben haben, reicht in den meisten Faellen.

* Eine Tatsache hat so ein findiger Anwalt jedoch uebersehen: die gleiche, vom Internet ermoeglichte Bequemlichkeit, die es ihm erlaubt, so leicht an ahnungslose Abmahnopfer heranzukommen, ermoeglicht es anderen Netzbuergern auch, sich schnell und effizient ueber solche Dinge zu verstaendigen und sich zu organisieren. Im vorliegenden Fall organisieren sich nun zwei bekannte Web-Projekte (SELFHTML und Freedom for Links), um gemeinsam ein Zeichen zu setzen gegen den um sich greifenden, fuer die Entwicklung des Webs unheilvollen Abmahnwahn im deutschen Internet.

* Das Verfahren, das wir nun anstrengen, kann das Problem leider noch nicht an der Wurzel beseitigen. Wenn es gut geht, schaffen wir einen Praezedenzfall, der fuer die weitere Rechtssprechung in aehnlichen Faellen von Vorteil ist. Als weiterreichende Konsequenz muesste der Gesetzgeber jedoch aktiv werden und Gesetze schaffen, die nicht nur Marken schuetzen, sondern auch Homepages. Das Internet ist ein neues Medium mit neuen Realitaeten, bei dem die sture und durch anwaltliche Spitzfindigkeit unterstuetzte Anwendung „alter“ Gesetze zum Teil das Gegenteil dessen bewirkt, wozu das Recht im Rechtsstaat da ist. Es muss endlich eine Gesetzesgrundlage geschaffen werden, die im Anbieten von Inhalten im Internet nicht nur potentielle Kriminalitaet wittert, sondern diese als gesellschaftlich wertvolles und schuetzenswertes Gut betrachtet und das in entsprechenden Gesetzen verankert. Leider leben wir diesbezueglich noch immer in der Steinzeit.

* Bitte nehmt die Spendenaufforderung ernst. Wir sind wirklich auf finanzielle Mithilfe aus den Reihen derer angewiesen, fuer deren Belange wir uns mit unserem juristischen Vorstoss einsetzen. Es sind die Belange von euch allen, von jedem, der im Internet publiziert! Wenn euch diese Belange beispielsweise den Gegenwert eines Fachbuchs oder eines Shareware-Programms wert sind, dann macht euch bitte die Muehe und spendet den entsprechenden Betrag. Hier noch mal die Daten: Freedom for Links e.V., Hamburger Sparkasse, BLZ: 200 505 50, Kto.: 1217/117934

* Und bitte tragt die Kunde in die Welt hinaus! Mailt es weiter, postet es woanders, schreibt serioese Medien an, zu denen ihr Kontakt habt. Wir wollen, dass eine breitere Oeffentlichkeit auf die rechtsbeugenden Machenschaften, die hier in den Blickpunkt geraten, aufmerksam wird. Wird es uns gelingen, dem Durchschnitts-User zu zeigen, dass das Internet nicht nur aus Broker-Wahn, E-Commerce und Geldmacherei auf Wildwest-Niveau besteht, sondern auch aus einer eigenen, gewachsenen und weiterwachsenden Kultur, die nicht bereit ist, sich zerstoeren zu lassen? Wir moechten kein boeses Blut vergiessen, keinen Hass verbreiten und keine Aufwiegelung betreiben. Wir appellieren deshalb auch an alle, die das Thema weiterkommunizieren, dergleichen zu vermeiden. Blinde Wut bringt uns nicht weiter und schadet uns nur. Bleibt also bitte cool, verletzt niemanden persönlich, aber erkennt bitte, dass es in euer allem Interesse liegen sollte, mehr als nur ein kleines Staubwoelkchen aufzuwirbeln gegen den Homepage-Abmahnwahn. Es wird Zeit, daß sich da was tut!

viele Gruesse
Stefan & Kess

Quellen und Hintergrundinformationen